Als ich dreizehn war, hatte ich einen Babysitter-Job: Zwei kleine Jungs, Katzen, Hühner, Pferde, ein Garten und ein altes Haus gehörten zur Familie. Das Durcheinander, über welches meine Arbeitgeberin klagte, sah ich nicht. Ich fühle mich dort wohl. Das Haus war voll Leben - Bücher, Musikinstrumente, Freunde, Spielsachen, Essen aus dem Garten, Kinderlachen.... alles purzelte froh durcheinander.
Aber es gab einen Raum, der war anders. Fast geheim. Fast verboten. Eine schmale Stiege führte vom oberen Stock weiter hinauf unter das Dach. Lange vermutete ich eine Abstellkammer dort oben. Nie sah ich jemanden hinauf gehen. Nie wurde der Raum erwähnt.
Schließlich fragte man mich, ob ich die Kinder einmal über Nacht hüten könne. Und zum allerersten Mal wurde ich die geheimnisvollen Stufen hinauf unters Dach geführt. Hinein in ein winziges Stübchen mit spitzzulaufenden Wänden, direkt unter dem Giebel gelegen. Es gab ein schmales Bett, ein Meditationskissen, ein niedriges Tischchen, einige Bücher, einige schöne Steine und einen kleinen frischen Wiesenblumenstrauß. Die Fenster in den Dachschrägen zeigten nur den Himmel.
Dieser kleine Raum war wie ein Nest ganz oben im Wipfel eines großen Baumes, wie der Ausguck im Mast eines geschäftigen Schiffes. Eine beruhigende, ja fast andächtige Stille ging von ihm aus. Ich betrat ein Refugium, ein kleines Heiligtum. Das bemerkte ich, ohne es zu verstehen.
Ich habe dort oben viele Male gut und ruhig geschlafen - während der Regen in Wellen um den First strich, während der Wind im Giebel pfiff, während die Sterne still auf mich herunter leuchteten und die Sonne früh den Himmel in rotes Leuchten tauchte. Dort gelang mir ein unaufgeregtes, einfaches zur Ruhe legen nach Tagen voller Leben und Lärm.
Nach diesem Raum sehne ich mich. Ein Rückzugsort - leer, still, der täglichen Unordnung entrückt. Ohne Kekskrümel, ohne Lego-Teile, ohne Wäschestapel, ohne Pfannkuchengeruch. Vielleicht können wir einen solchen Raum auch in uns selbst schaffen? Vielleicht können wir dort Klarheit und Ruhe einziehen lassen? Vielleicht bedarf es dazu nicht mehr, als ein paar Minuten auf der Yoga-Matte oder eines Spaziergangs (in den
Boberger Dünen)? In meinem kleinen,
heiligen Winkel jedenfalls, den ich mir eigens zum Stricken und Lesen eingerichtet hatte, steht zurzeit der Wäscheständer.
Ein neues Puppenmädchen schlüpft ganz langsam in unsere Frühlings-Welt. Heute hat sie flauschiges Haar bekommen. An meinem Bett liegt derzeit Christiane Kutiks
'Spielen macht Kinder stark'. Ich komme kaum über eine halbe Seite pro Abend hinaus. Der Frühling macht mich müde. Und woran tüftelt ihr?
Herzlichst, Lena